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Trotz starkem Franken stieg in der Schweiz die Industrieproduktion, während sie in der EU weitgehend stagnierte. Was machen wir besser als Europa?

Die Schweiz setzt auf hochwertige, spezialisierte Industriegüter statt auf Massenproduktion. Hohe Innovationskraft, starke Forschungsnetzwerke wie die ETH und die EPFL, geringe Bürokratie und stabile politische Rahmenbedingungen machen sie als Produktionsstandort attraktiv. Der starke Franken zwingt Unternehmen zur Effizienzsteigerung, was langfristig die Wettbewerbsfähigkeit erhöht. Der Wettbewerbsdruck hilft zudem, dass Unternehmen agil bleiben, und diese Agilität hilft ihnen auch in einem schwierigen Marktumfeld. Zudem sorgt die internationale Vernetzung der Industrie für Resilienz, weil nicht allein auf den Binnenmarkt gesetzt wird. Und – das muss ich als Präsident des Arbeitgeberverbands unbedingt betonen – wir haben in der Schweiz eine gelebte Sozialpartnerschaft: Lösungen werden auf Branchenebene gesucht und gefunden. Das trägt wesentlich zur Stabilität und Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz und der Schweizer Wirtschaft bei.

Wie kann sich die Schweiz langfristig als Produktionsstandort behaupten?

Was mir dazu als Erstes einfällt, ist Bürokratie – von der wir eindeutig zu viel haben – und Digitalisierung respektive die Nutzung neuer technischer Möglichkeiten. Die Schweiz ist heute sehr wettbewerbsfähig, weil sie besondere Stärken besitzt in den Bereichen Innovation, Qualität, Effizienz und stabile Rahmenbedingungen. Entscheidend ist, dass sich Unternehmen weiterhin auf Hochtechnologie, spezialisierte Industrien und Forschung und Entwicklung konzentrieren. Dazu braucht es eine enge Zusammenarbeit zwischen Hochschulen, Industrie und Startups. Elementar ist auch eine Energieversorgung, die verlässlich und kostengünstig ist. Sie ist zudem eine sprachlich, kulturell und allgemein offene Volkswirtschaft: Eine offene Handelspolitik mit verlässlichen internationalen Partnern und ein gesicherter Zugang zum europäischen Binnenmarkt sind ebenso essenziell.

Welche Massnahmen braucht es, um den Schweizer Wirtschaftsstandort nachhaltig positiv zu gestalten?

Damit die Schweiz wettbewerbsfähig bleibt, müssen die Rahmenbedingungen für Unternehmen attraktiv bleiben. Die Bürokratie nimmt in den letzten Jahren stetig zu. Damit Firmen aber nicht durch übermässige Regulierungen behindert werden, braucht es tendenziell mehr Freiräume und nicht weniger. Sonst nimmt bloss die Menge an Arbeitsplätzen in unproduktiven Jobs der Verwaltung zu, die Wertschöpfung schaffenden Unternehmen werden dagegen zusätzlich belastet. Relevante Themen sind auch die Steuerbelastung für Unternehmen und Arbeitnehmende, die nicht weiter zunehmen darf, ein flexibler Arbeitsmarkt, der den Bedürfnissen der Wirtschaft gerecht wird, und ein stabiles Verhältnis zur EU, damit Schweizer Unternehmen einen gesicherten Zugang zum Binnenmarkt haben. Besonders wichtig ist auch die Arbeitskräftesicherung, sowohl durch bestmögliche Ausschöpfung des inländischen Arbeitskräftepotenzials – inklusive qualitativ hochstehender Aus- und Weiterbildung – als auch durch gezielte Zuwanderung in die Schweiz.

Sehen Sie Entwicklungen, die unsere Wirtschaft in den kommenden Jahren negativ beeinflussen könnten?

Ja. Der zunehmende Arbeitskräftemangel droht, das Wachstum zu bremsen, und die Unsicherheit in den Beziehungen zur EU könnte Unternehmen davon abhalten, in der Schweiz zu investieren. Zudem könnte eine zunehmende Regulierung Unternehmen belasten und sie in ihrer Innovationsfähigkeit einschränken.

Das passende Personal zu finden, bleibt für viele Schweizer Firmen eine der grossen Herausforderungen. Wie sehen Sie die Schweiz hier aufgestellt? Was ist die Prognose des SAV?

Wir haben gemeinsam mit Economiesuisse ein Szenario erarbeitet, das die Entwicklung von Arbeitsangebot und -nachfrage und der Arbeitskräftelücke in den nächsten zehn Jahren prognostiziert. Die Schätzung des Angebots basiert im Wesentlichen auf dem mittleren Bevölkerungsszenario des Bundesamts für Statistik. Die Berechnungen zeigen, dass sich das inländische Angebot bis 2035 verglichen mit heute um rund 297’000 Vollzeitbeschäftigte reduzieren wird. Auf der anderen Seite wären zusätzliche 163’000 Vollzeitbeschäftigte notwendig, um die Wohlstandentwicklung der letzten Jahre fortzuschreiben – dies unter der Annahme einer linear steigenden Arbeitsproduktivität. Zusammengefasst schätzt die Wirtschaft, dass in der Schweiz in zehn Jahren rund 460’000 Vollzeitbeschäftigte fehlen werden.

Hat die Schweiz eigentlich einen Fachkräftemangel oder ganz einfach einen Arbeitskräftemangel?

Beides. In hochqualifizierten Berufen wie IT, Ingenieurwesen und Gesundheitswesen gibt es einen klaren Fachkräftemangel, da die Nachfrage nach spezialisierten Arbeitskräften grösser ist als das inländische Angebot. Gleichzeitig gibt es aber auch einen allgemeinen Arbeitskräftemangel in Berufen mit geringeren Qualifikationsanforderungen, etwa in der Gastronomie oder im Baugewerbe. Dieser Arbeitskräftemangel wird durch die demografische Entwicklung verstärkt, da immer mehr Erwerbstätige in den Ruhestand gehen und nicht genügend Nachwuchs nachkommt.

Welche Rolle spielen Lohnnebenkosten in der Schweiz im internationalen Vergleich? Sind sie ein Standortnachteil oder eher moderat?

Im Vergleich zu vielen EU-Ländern sind die Lohnnebenkosten in der Schweiz moderat. Während sie in Deutschland oder Frankreich oft bei über 30 Prozent des Bruttolohns liegen, sind sie in der Schweiz mit 15 bis 20 Prozent deutlich tiefer. Die vergleichsweise niedrigen Lohnnebenkosten sind für Schweizer Unternehmen ein Vorteil. Allerdings müssen sie oft höhere Nettolöhne anbieten, um qualifizierte Arbeitskräfte anzulocken – vor allem wegen des allgemein hohen Lohnniveaus und der Lebenshaltungskosten in der Schweiz. Was mir Sorge bereitet, ist der laufende Ausbau der Sozialwerke mit der Giesskanne – und damit zusammenhängend der Finanzierungsbedarf. Die milliardenteure 13. AHV-Rente wird uns alle belasten, egal wie sie finanziert wird. Und der nächste milliardenteure Ausbau ist mit der Mitte- Initiative, welche für Verheiratete eine höhere Rente verlangt, aufgegleist. Auch diese Initiative lässt die Finanzierung offen. Die Arbeit darf nicht laufend stärker belastet werden, sonst nehmen Standortattraktivität und Wettbewerbsfähigkeit ab.

Die 42-Stunden-Woche ist in der Schweiz noch weit verbreitet. Halten Sie eine Reduktion der Wochenarbeitszeit für realistisch und notwendig?

Eine generelle, gesetzlich vorgegebene Reduktion der Arbeitszeit ist aus wirtschaftlicher Sicht nicht tragbar und auch nicht notwendig. Will jemand Teilzeit arbeiten, so kann dies heute vereinbart werden, andererseits sichern wir mit den heute bestehenden, einheitlichen und gesetzlich vorgeschriebenen Höchstarbeitszeiten den Gesundheitsschutz für die Mitarbeitenden ab. Eine generelle Reduktion der Arbeitszeit müsste zudem zur Reduktion der Löhne führen. Die Wahrscheinlichkeit würde damit steigen, dass sich Mitarbeitende eine zweite oder dritte Beschäftigung suchen müssten, um über die Runden zu kommen, was die Belastung der Arbeitnehmenden ansteigen liesse. Der Arbeitskräftemangel würde sich verschärfen, die Lohnkosten für die Arbeitgeber würden steigen, die Löhne für die Mitarbeitenden sinken und die internationale Wettbewerbsfähigkeit würde leiden.

Ist fehlende Flexibilität bei der Arbeitszeitgestaltung ein Problem? Und falls ja: Welche gesetzlichen Anpassungen braucht es?

Ja, die aktuellen Vorschriften im Arbeitsgesetz sind in einigen Bereichen zu unflexibel. Unternehmen und ihre Mitarbeitenden brauchen mehr Spielraum, um auf wirtschaftliche Schwankungen und individuelle Bedürfnisse der Arbeitnehmenden einzugehen. Sinnvoll wäre beispielsweise die Ausweitung des Zeitrahmens, innerhalb welchem die tägliche Arbeit von beispielsweise acht Stunden geleistet werden kann. Das heisst, man arbeitet immer noch gleich viel, kann aber die Arbeit auch kurz unterbrechen und dann später weitermachen. Dies könnte mit der Ausweitung des sogenannten Tageszeitrahmens erreicht werden, wie es das Parlament auch aktuell diskutiert: Arbeitnehmende sollen ihre tägliche Sollarbeitszeit innerhalb von 17 Stunden erledigen – statt wie heute innerhalb von 14 Stunden. Damit bekommen die Arbeitnehmenden und Unternehmen mehr Flexibilität, wie sie ihre Arbeitszeit organisieren.

Man liest widersprüchliche Zahlen. Was stimmt denn nun? Arbeiten wir heute mehr oder weniger als früher? Leisten wir mehr Überstunden? Und nimmt die Produktivität ab oder zu?

Die durchschnittliche Jahresarbeitszeit von Erwerbstätigen ist über die letzten Jahrzehnte gesunken, unter anderem, weil Teilzeitarbeit zugenommen hat. Allerdings gibt es einen Gegeneffekt, weil der Anteil der Erwerbstätigen im erwerbsfähigen Alter zugenommen hat, da mehr Frauen im Arbeitsmarkt tätig sind als früher. Die Überstunden haben gemäss BFS seit 2010 bis 2023 abgenommen. Die Produktivität ist insgesamt gestiegen, insbesondere durch Automatisierung und technologische Fortschritte. Trotzdem gibt es Unterschiede zwischen den Branchen: Während die Industrie stark in Effizienzgewinne investiert, gibt es im Dienstleistungssektor weniger Produktivitätswachstum.

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